Medienstunde - Ausgabe A2BCDE

12 Mittwoch, 26. Januar 2022 Gendern wirkt und nervt VON MADELEINE GULLERT Liebe Schülerin, lieber Schüler, unterhalten wir uns übers Gendern! Und falls Ihr es nicht bemerkt habt: Der erste Satz war schon gegendert, weil alle, Frauen und Männer, angesprochen wurden. Tat gar nicht weh, oder? „Wie adressiere ich Personen, wenn ichmöglichst ohne Diskriminierung sprechen möchte?“ Das ist für SprachwissenschaftlerinGabrieleDiewald die Hauptfrage beim Gendern. Bereits in den 60er Jahren setzten sich Frauenrechtlerinnen dafür ein, dass Sprache auch Frauen sichtbar machen sollte. „Frauen sollten nicht immer nur mitgemeint sein“, erklärt Diewald, Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover. Was istdasgenerischeMaskulinum? Das „Problem“ im Deutschen ist das generische Maskulinum, also die geschlechtsübergreifende Verwendung eines maskulinenWortes wie „der Arzt“ oder „die Ärzte“ für alleMenschen, die diesenBeruf ausüben. Verfechter des generischen Maskulinums betonen, man dürfe das grammatische Geschlecht nicht mit dem biologischen Geschlecht verwechseln. Das ist aber nicht so einfach. Eine allgemeingültige Wahrheit darüber existiert nicht, betont Sabine Krome, Forscherin am LeibnizInstitut für Deutsche Sprache und Leiterin der Geschäftsstelle des Rats für deutsche Rechtschreibung. Wenn jemand sage: „Ich gehe zum Bäcker“, dann sei das generische Maskulinum problemlos nutzbar, weil es mehr über den Ort und den Beruf des Menschen etwas aussage als über seinGeschlecht.Wennman aber sage: „Sie ist Bäcker“, dann sei das generische Maskulinumnicht mehr präzise, obwohl grammatikalisch richtig. Studien zeigen, dass mit dem grammatikalischen Geschlecht das biologische Geschlecht assoziiert wird. „Unser Gehirn spielt uns einen Streich“, sagt Friederike Sittler, Vorsitzende des Journalistinnenbunds, der das Projekt „Genderleicht“ ins Leben gerufen hat mit Tipps zur genderneutralen oder gerechten Sprache. Wenn bei einem Kongress 99 Ärztinnen und ein Arzt anwesend seien, heißt es imgenerischenMaskulinumdennoch: Es kamen 100 Ärzte. In derVorstellung der Lesenden seien das meist 100 Männer. Mehrheit lehnt Gendern ab Das Gendern soll die Sprache gerechter machen. Fast zwei Drittel (65 Prozent) der Deutschen lehnen es allerdings ab. Das ergab eine Befragung von Infratest Dimap für die „Welt amSonntag“ imMai 2021. Im Jahr davor lag die Ablehnung bei nur 56 Prozent. Gendern ist nicht gleichGendern. Vielmehr lassen sich zwei übergeordnete Ansätze unterscheiden: Das Ziel der geschlechtergerechten Sprache ist es, alle biologischen Geschlechter in der Sprache sichtbar zu machen. Im Gegensatz dazu setzt der Ansatz der geschlechtsneutralen Sprache darauf, Geschlechter überhaupt nicht erkennbar werden zu lassen. Die Beidnennung Die wohl älteste Form, die längst weit verbreitet ist, ist die sogenannte Beidnennung. Also das Nennen beider Geschlechter. „Alle Schülerinnen und Schüler lernen fleißig.“ Sie hat denVorteil, dass sie der Rechtschreibung entspricht. Ein stilistischer Nachteil ist, dass die Formulierung sehr lang wird. Kritiker monieren auch, dass Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich sehen, bei dieser Form nicht mitgemeint seien. Von Sternchen und Doppelpunkten Formen, die mit Auslassung arbeiten, sind der Genderstern, der GenderGap (Unterstrich) und der Doppelpunkt. Also imSingular: Leser*in, Leser_in oder eben Leser:in. ImPlural: Leser*innen, Leser_innen oder eben Leser:innen. Diese Formen sollen alle Geschlechter sichtbar machen. Neben den Auslassformen gibt es noch das BinnenI, das allerdings schon als veraltet gilt und nur zwei Geschlechter sichtbar macht (LeserIn). Gleiches gilt für das Splitting: ein/e Leser/in. Ein Problem haben alle Auslassformen: Sie entsprechen nicht der aktuell geltendenRechtschreibung. „Wenn man es mit dem Gendern ernst meint und durchzieht, müsste es dann ,Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen’ heißen“, gibt Krome zu bedenken. Auch grammatikalisch gibt es mit den Auslassungsformen Probleme. Partizipien und Umschreibungen Geschlechtsneutrales Gendern funktioniert mit umschreibenden oder grammatikalisch neutralen Formen oder Partizipien: Also statt „Der Minister hat beschlossen ...“ einfach „Das Ministerium hat beschlossen ...“. Aus den Studenten werden die Studierenden. Vielleicht ist eines der größten Probleme, dass Gendern anstrengend ist. Wer gendergerecht oder genderneutral schreiben oder reden will, muss nachdenken. „Außerdem erfordert es ein hohes Maß an Sprachkompetenz, um intelligent und elegant zu formulieren“, sagt Krome. Man dürfe nichts mehr sagen, glaubt die Hälfte der Deutschen. SprachwissenschaftlerinDiewald irritiert diese Sorge. Niemand könne undwerdeMenschen vorschreiben, wie sie privat sprechen sollen. Gegendert werden sollte ihrerMeinung nach in öffentlichen Dokumenten, die signalisieren müssen, dass Gleichstellungwichtig ist, etwa Stellenanzeigen. Insgesamt sei es dringend erforderlich, sich ein wenig lockerer zu machen und mit Sprache auch zu spielen. „Es scheint so, dass jemand, der gendert, eine politische Richtung hat. DieseVerknüpfung sollte es aber nicht geben.“ Alle Menschen sollen angesprochen werden. Aber wie? Über Gründe, Formen und Probleme der geschlechtergerechten und der geschlechtsneutralen Sprache. „Wennman esmit dem Gendern ernst meint und durchzieht, müsste es dann ,Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen’ heißen.“ Sabine Krome, Deutscher Rechtschreibrat

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