FuPa.net westrhein | Saison 2022/2023

98 Ihr Mann durfte einen Monat später tatsächlich die DDR verlassen. Schröder fand im Westen schnell Arbeit im Reifenwerk „Uniroyal“, später Continental, eine Arbeitsstelle als Textilschneider. Das war eine sehr körperliche Arbeit im Drei-Schicht-Betrieb, für das Hobby fehlte die Energie. Die alte Liebe erwachte erst, als er 2004 pensioniert wurde. „Ich habe den Fußballrasen gesehen und gerochen, und habe mich an früher erinnert“, sagt er. Schröder besuchte wieder einen Lehrgang, und dann zog er die Schiedsrichter-Uniform an. Er startete neu in den untersten Ligen, wo sich die Freizeitkicker tummeln und stellte fest: „Im Osten war es ruhiger, hier wird mehr gemeckert.“ Aber vielleicht war auch nur viel Zeit vergangen und viel Respekt inzwischen verloren gegangen, bevor er seine Karriere im Westen nun im Rentenalter fortsetzte. „Großzügige Linie“ Schröder sagt von sich, er habe immer eine großzügige Linie verfolgt. Er war Friedens- und Schiedsrichter in einer Person. Wenn sich ein aufgebrachter Spieler in Anspielung auf das Alter erkundigte „Schiedsrichter, konnten Sie das Abseits wirklich sehen“, kann er auch schon mal auf Durchzug stellen. „Und vielleicht hat er ja auch recht“, grinst er. Er mag die kleinen Dialoge, wenn sie im Rahmen bleiben. „Den hättest du aber machen müssen“, raunte er dann auch schon mal einem Spieler nach einer vertanen Großchance zu. Im Laufe der Jahre hat er etwa 55 Rote Karten verteilt, Schröder ist keiner, der sich die Karten wie Kerben in seinen Colt ritzt. Platzverweise nerven ihn eher, sie müssen im elektronischen Meldesystem hinterlegt werden, es kann zu Verhandlungen beim Sportgericht und zu Spielersperren kommen. Das muss ja nicht sein. Nur einmal zu seiner Zeit im Osten wurde er direkt attackiert, nachdem er bei einer Partie in Rostock die Rote Karte gezückt hatte. Der Sünder schlug sie ihm aus der Hand, musste von Mitspielern gebändigt werden und wurde danach für ein halbes Jahr aus dem Fußballverkehr gezogen. Das hat Schröder dann ein bisschen leid getan, „die wollen doch alle nur spielen“. Im Laufe der Jahre hat er im Fußballkreis Aachen viele Clubs kennengelernt, auch solche, in denen mehr Temperament und Testosteron gegen den Ball treten. „Aber im Großen und Ganzen haben sich die Spieler vernünftig verhalten, vielleicht haben sie aber auch Rücksicht auf das Alter genommen“, grinst er. Längst hat er gelernt, seine eigene Leistung einzusortieren. „Es gibt schon Tage, an denen ich mit mir nicht zufrieden war“, sagt er. Warum tut sich jemand das noch an? Samstags und sonntags auf dem Spielfeld. Ohne Schlagzeilen. Meistens ohne Lob, für 19 Euro plus Fahrtkosten. Geld, das er manchmal sogar noch für die Vereinsjugend liegenlässt. Viel zu gewinnen gibt es da nicht. Schiedsrichter sind in diesen Klassen Einzelkämpfer, müssen auch ohne technische und menschliche Hilfe Abseitspositionen erkennen. Und alle paar Wochen geht es zur Weiterbildung, wenn wieder einmal die Handspiel-Regelung modifiziert ist, so dass die Fragezeichen auch bei den Ausbildern ablesbar sind. „Ich ahnde es, wie ich es am Anfang gelernt habe“, gibt Schröder zu. Vermutlich gehöre er zu den altmodischen Menschen, grinst er. Mit seiner Leidenschaft ist er ein bisschen einsam zu Hause in Merkstein. Seine Frau Helga ist ein Fan ihres Mannes, aber sicher kein Fan des Balles. Im Haushalt gibt es einen separaten Fußball-Fernseher nur für ihn. Exakt ein Spiel, das Schiedsrichter Schröder geleitet hat, hat sie besucht. Damit war die Pflichtübung erledigt. Sie ist froh, dass er endlich aufgehört hat. „Er hat bei etlichen Familienfesten gefehlt, weil er auf dem Sportplatz war.“ Es fehlt an Nachwuchs Als Schröder nach seinem finalen Wettkampf vom Platz ging, ist ein Foto entstanden. Neben ihm stehen die Spielleiter Ludwig Bergstein, 73, und Ronny Offermann, 75, aus Herzogenrath sowie Anton Dinslaken, 62, aus Baesweiler. Die Schiedsrichter in den unteren Klassen kommen in die Jahre, eine Altersbegrenzung gibt es nicht. Das Nachwuchsproblem ist eklatant. Beim Anwärterlehrgang hören viele schnell wieder auf, wenn der Stress zu groß wird. „Der Schiedsrichter ist tendenziell der Buhmann“, sagt auch der 80-Jährige. Er stand trotzdem an jedem Sonntag meistens viel zu früh wieder am Vereinsheim. Damals in den Anfängen seiner Karriere gefiel ihm auch die Vorstellung, dass die Armeeoffiziere 90 Minuten lang auf sein Kommando hören mussten. Das Motiv hat sich schon lange verschoben. „Wenn wir die Aufgabe nicht übernehmen würden, wäre keiner mehr da“, sagt er. Dann müssten die Vereine in den unteren Ligen am Spieltag kurzfristig selbst einen Schiedsrichter stellen. Auch hier gibt es einen Facharbeitermangel. Gemeldet ist er für seinen Heimatverein Concordia Merkstein, der inzwischen mit dem SVS Merkstein fusioniert ist. Clubs müssen ein Kontingent an Schiedsrichtern stellen, sonst fällt ein Ordnungsgeld an. Deswegen wurde Schröder auch schon mal mit 200 Euro ein Wechsel schmackhaft gemacht. Er winkte ab. „Er hat es einfach verdient“ Beim Verband hat er sich gerade final abgemeldet nach 32 Jahren an der Pfeife: 16 Jahre im Osten, 16 Jahre im Westen. „Ich war ja wirklich nur ein kleiner Schiedsrichter, für den muss man kein Abschiedsspiel organisieren.“ Es könnte anders kommen. Bernd Mommertz, der Kreisvorsitzende, will einen „gebührenden Abschied“ mit Schröder besprechen. Er könnte für ein Spiel einer Traditionsmannschaft nominiert werden oder für ein Inklusionsspiel, das er schon oft geleitet hat. „Er hat es einfach verdient“, sagt Schiedsrichter Mommertz über Schiedsrichter Schröder, dem er immer noch eine sehr hohe Regelkunde bescheinigt. Schröder hat seine Schiedsrichter-Kluft vorerst in den Keller gelegt, er hat noch andere Hobbys, malt zum Beispiel gerne Öl-Bilder oder genießt klassische Musik, aber er hält sich noch ein Hintertürchen auf. „Im Schulsport könnte ich noch ein bisschen weiterhelfen.“ Das bringt zwar nur zehn Euro, aber um Geld ist es Schröder bei seinem Hobby noch nie gegangen. Erinnerungsmotiv: Seine Karriere startete Dieter Schröder vor 56 Jahren im Osten. Foto: Privat

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